Merkmale
Wie beim helfenden Archetyp ist auch der selbstlose Archetyp für andere da. Sein Hauptsatz ist „ich selbst bin unwichtig. Nur im Einsatz für dich und für andere bin ich wertvoll!“. Auf die Frage wie er etwas haben möchte, wird er entweder ausweichend oder nicht antworten. Das Sich-durch-den- anderen-Definieren ist einerseits die Angst vor der Selbstverwirklichung und auch ein Ausdruck für fehlendes Selbstgefühl.
Ebenso wie der Helfende wird der Selbstlose vermeiden, seine Sorgen und seine Probleme zu offenbaren. Im Gegensatz zum Helfenden ist es für den Selbstlosen undenkbar, sich in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit des Gegenübers zu stellen und ihn damit zu belasten oder zu belästigen.
Aus dem Wunsch heraus, es dem anderen recht zu machen, lautet sein Appell „Sag mir, wie du mich haben möchtest!“
Die Hörgewohnheiten des Selbstlosen sind das stark ausgeprägte Appellohr – er wird in jeder Nachricht einen Appell hören – und ein negativ behaftetes Beziehungsohr, das in extremen Situationen sogar dazu neigt, Nachrichten umzudeuten. Die Übung bei den Kommunikationsproblemen hat eine solche Umdeutung gezeigt. Selbstlose neigen dazu, jeder Konfrontation aus dem Weg zu gehen, weil dieser den Streit als große Bedrohung sieht, und dies die Trennungsangst in ihm hervorruft.
Bild: Peggy_Marco@pixabay
Beweggrund
Die frühkindliche Erfahrung kann sein, dass jeder Ansatz zur Selbstverwirklichung im Keim erstickt wurde. Das Kind hat erfahren, wertlos zu sein – vielmehr wurden dem Kind die eigenen Wünsche aberkannt. Daraus resultiert, dass diese Anpassung einerseits (zumindest) zu ein bisschen Anerkennung und zur Vermeidung von Ausgrenzung führt.
Interaktion
Der Selbstlose greift mitunter zu sehr subtilen Mitteln, um seine Wünsche – die mitunter auch sehr egoistisch sein können - durchzusetzen. Lieb und geduldig bietet der Selbstlose kaum Angriffsfläche für eine Auseinandersetzung, und so bittet der Selbstlose, anstatt zu fordern. Wird dieser Bitte vom Gegenüber nicht nachgekommen, so reagiert der Selbstlose mit tiefer Trauer und ruft beim Gegenüber Schuldgefühle hervor. Er webt durch seine Art ein Netz, in dem sich die Mitmenschen gefühlsmäßig gefangen fühlen und sich nur schwer freimachen können.
Durch die Interaktion des Selbstlosen stärkt dieser beim Gegenüber die nazistischen Züge, die Jeder in sich trägt - er leistet somit nazistische Aufbauarbeit beim Gegenüber. Dies führt dazu, dass das Gegenüber seine ungeliebte Schattenseite auf den Selbstlosen projiziert. Zu Beginn bildet dies eine solide Basis, weil keiner der Beiden sich mit der ungeliebten Schattenseite auseinandersetzen muss.
Der Teufelskreis beginnt dann, wenn sich der Partner des Selbstlosen durch seine ständige Selbstentwertung genervt fühlt. Er sehnt sich nach einem „vollwertigen“ Gegenüber, der auch Konflikte eingeht. Er wird mit einer herablassenden Behandlung agieren, und sich in abweisender Distanz üben. Damit trifft er aber den Selbstlosen an seinem wundesten Punkt. Diese Verlustangst führt dazu, dass der Selbstlose seine Bemühungen verstärkt und somit beim Gegenüber Schuldgefühle hervorruft. Dieser wird sich fragen „warum bin ich so ein schlechter Mensch?“ Sich mit dieser Frage konfrontiert, führt dies beim Gegenüber des Selbstlosen zu Verachtung und Wut. Am Ende des Teufelskreises stehen sich ein „selbstloses Opfer“ und ein „nazistischer Täter“ gegenüber.
Zu diesem Teufelskreis gesellt sich noch ein weiterer Kreis dazu, der oft unterschwellig, aber dafür mit viel Dramatik abläuft. Der Selbstlose fühlt sich moralisch überlegen und spielt dies gegen den Selbstlosen aus, was in extremen Fällen die Spirale zu körperlicher Gewalt hochtreibt. Hinzu kommt noch, dass sich unbeteiligte Dritte oftmals mit dem „armen Opfer“ identifizieren, und den „nazistischen Täter“ – dessen Aufbauarbeit vom Selbstlosen selbst getätigt wurde - verurteilen.
Entwicklungspotential
Für den Selbstlosen gelten zwei wichtige Worte, die es zu lernen gilt. Dies sind das ICH und das NEIN. Bevor der Selbstlose jedoch das Wort ICH lernen kann, muss er dieses Wort erst in sich fühlen. Oftmals ist der Selbstlose mit den eigenen Wünschen völlig überfordert. Da er selbst gar nicht weiß, was er möchte, richtet er sich nach den vermeintlichen Wünschen des Anderen und verwechselt so diese mit den eigenen.
Bei Paaren empfiehlt sich die „Herr und Diener“ Übung, bei der die Partner abwechselnd für eine gewisse Zeit die Führung nach den eigenen Wünschen übernimmt.
Selbstbehauptung und Abgrenzung sind neben den Worten ICH und NEIN die weiteren Schwerpunkte für die Entwicklung des Selbstlosen. Dies schließt aber auch die Bereitschaft für Konflikte mit ein. Gerade diese Konfliktbereitschaft ist eine Schlüsselrolle in der Entwicklung. Ich werde in einem späteren Post zum Thema „liebender Konflikt“ dazu Stellung nehmen.
Bringt er seine Wut, seinen Ärger, seine Empörung und Verachtung nicht zum Ausdruck, so kann dies oft zu Depressionen oder zumindest zu einer massiv gedrückten Verstimmung führen. Die Selbstlosen bringen die Kunst fertig, Aggression in Selbstanklagen zu verwandeln – „was habe ich nur falsch gemacht, dass mein Partner sich so und so verhält“. Dies ist eine äußerst aggressive Art der Anklage, der sich der „Täter“ nur mit viel Mühe entziehen kann.
Das Positive
Wenn der Selbstlose gelernt hat, sich selbst zu lieben und sich so anzunehmen wie er ist, kann er getreu nach dem Bibelspruch „liebe deinen Nächsten wie dich selbst“ ein liebensfähiges, wertvolles und hingebungsvolles Mitglied der Gemeinschaft werden.
Selbstlosigkeit ist der Grundbaustein der Humanität. Wie kein anderer ist der Selbstlose zu Hingabe fähig. Die Hingabe ist eine wundervolle Gabe, die jedoch ohne die nötige Selbstachtung gepaart mit Selbstbehauptung, also mit klaren Grenzen und Ansprüchen, entwertet wird.
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